Stellungnahme der Berliner Parität vom 10. Oktober 2024

Bei der Sozialen Arbeit in Berlin zu kürzen, heißt, Angebote und Leistungen für Berlinerinnen und Berliner zu streichen!

Die Senatsverwaltung für Finanzen hat in der dritten Änderung der Verwaltungsvorschriften zur Haushalts- und Wirtschaftsführung im Haushaltsjahr 2024 – HWR 2024 folgendes verfügt:

Ab dem 01. Oktober 2024 ist jegliches Verwaltungshandeln, das im Zusammenhang mit der Bewilligung von Zuwendungsbescheiden und dem Abschluss von Zuwendungsverträgen oder Zuschüssen steht und auf eine Auszahlung ab dem Haushaltsjahr 2025 gerichtet ist, zu unterlassen. Die Regelung gilt bis zum 30. November 2024.

Der Paritätische Wohlfahrtsverband Berlin macht auf die daraus folgenden Auswirkungen aufmerksam:
Fehlende Planbarkeit gefährdet die bestehende soziale Infrastruktur: Wir fordern dringend alle fördergebenden Stellen des Landes Berlin auf, weiterhin offene Anträge und Bewilligungen zu bearbeiten, auch wenn sie zurzeit nicht beschieden werden dürfen. Andersfalls ist ein weiterer Rückstau in den Verwaltungsabläufen zu erwarten.

Wenngleich es bisher leider auch Praxis ist, dass soziale Organisationen Zuwendungsbescheide (zumeist nur vorläufige) erst im Jahr der Zuwendung erhalten, ist die Situation diesmal sehr viel kritischer. Im jetzigen Fall ist völlig unklar, an welchen Stellen sozialer Leistungen Kürzungen oder gar Streichungen zu befürchten sind.

Im Umkehrschluss sind ALLE Angebote und Leistungen, die derzeit über Zuwendungen organisiert werden, mit Unsicherheit über die weitere Finanzierung im Jahr 2025 konfrontiert.

Kürzungen in der sozialen Infrastruktur können zu Mehrausgaben führen und die Gesellschaft destabilisieren:
Kürzungen im Bereich der Zuwendungen im sozialen Bereich beträfen eine Struktur mit großer präventiver Wirkung in Berlin. Wer jetzt bei Präventionsangeboten kürzt, hat in Folge immense Kosten für Hilfeleistungen.

Die gesellschaftspolitische Stabilität in Berlin wird durch Angebote im Bereich Jugendarbeit, Nachbarschaftsarbeit und freiwilliges Engagement gestärkt. Beratungsstellen für Menschen in Notlagen, Suchthilfe, Angebote für Menschen ohne Arbeit, für Senioren und pflegende Angehörige, wohnungs- und obdachlose Menschen, Menschen mit Flucht- und/oder Migrationshintergrund, Kinder-, Jugend- und Familienförderung sowie Gesundheitsförderung, Selbsthilfe, Opferschutz, Gewaltschutz, Angebote zur sozialen Teilhabe von Menschen mit Behinderungen und Angebote im Bereich LSBTIQ stabilisieren die Gesellschaft, schaffen Vertrauen und Sicherheit.

Diese Angebote und Leistungen, die meist in Form von Zuwendungen ausgereicht werden, sind allesamt systemrelevante Aufgaben, die im Sinne des Subsidiaritätsprinzips** durch die organisierte Zivilgesellschaft übernommen werden.

Ein großer Teil der freien Träger in Berlin muss wegen der Zuwendungen mit befristeten Arbeitsverträgen arbeiten. Eine Verlängerung der Verträge darf immer erst dann beschlossen werden, wenn die Förderzusage für das nächste Jahr vorliegt.

Bedeutet derzeit konkret: Hunderte freie gemeinnützige Träger können aktuell befristete Verträge (noch) nicht verlängern. Bedeutet ferner: Tausende Beschäftigte müssen sich jetzt prophylaktisch arbeitssuchend melden. Einige von ihnen werden wahrscheinlich andere Angebote (u.a. aus der freien Wirtschaft) erhalten und diese auch annehmen.
Wenn der Senat dann am 30.12.24 Förderbescheide erteilt und die Träger am 31.12.24 eine Vertragsverlängerung anbieten – dann sind wieder ein paar hundert Fachkräfte weg.

Allein die Diskussion über Kürzungen im Bereich der sozialen Arbeit sendet ein negatives Signal an Berlinerinnen und Berlin sowie an die Mitarbeitenden in den zivilgesellschaftlichen Organisationen und in den Landes- und Bezirksverwaltungen.

Keine weitere Aufstockung der Förderung bedeutet Abbau der Förderung:
Ein Einfrieren der Fördersummen für die soziale Arbeit ist aufgrund der enormen Kostensteigerungen des letzten Jahres schon jetzt eine faktische Kürzung. Gleichzeitig steigt der Bedarf. Wenn Förderungen bei steigenden Kosten gleichbleiben, ist das in der Regel nur durch Personalabbau möglich. Das heißt, die sozialen Leistungen könnten nur noch mit Qualitätseinbußen, in einem geringeren Umfang oder gar nicht mehr erbracht werden.

Absenkung der Standards bedeutet Kürzung der Leistungen:
Wenn die Standards im Sozialbereich abgesenkt werden, bedeutet dies eine Einschränkung der Leistungen für Menschen, die sie dringend brauchen. In diesem Zusammenhang machen wir auch aufmerksam auf unsere Stellungnahme zum Thema: Standards zu senken bedeutet eine Einschränkung von Leistungen! Das Statement des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin bezieht sich auf die Ankündigung der Regierungskoalition, Fallkosten bei sozialen Leistungen auf den Durchschnitt anderer Bundesländer abzusenken.

Wir fordern die Berliner Politik auf, die Berliner Verfassung umzusetzen und das Subsidiaritätsprinzip einzuhalten!

Nach Artikel 10, Abs. (3)*** der Berliner Verfassung ist das Land Berlin verpflichtet, die gleichberechtigte Teilhabe auf allen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens herzustellen und zu sichern. Bestehende Ungleichheiten sind durch zu fördernde Maßnahmen auszugleichen. In Art. 22 verpflichtet sich das Land Berlin zur Verwirklichung der sozialen Sicherung, die eine menschenwürdige und eigenverantwortliche Lebensgestaltung ermöglichen soll.

Die vorhandene soziale Infrastruktur in Berlin ist nicht nur ein Schatz, den es zu erhalten gilt, sie fußt auf der Verfassung. Die Zivilgesellschaft ist dabei kein Dienstleister der öffentlichen Hand, sondern Dienstleister für Menschen, die Hilfe und Unterstützung benötigen. Die Zivilgesellschaft ermöglicht damit eine solidarische, demokratische Gesellschaft, sie steht für das Miteinander und die Fürsorge. Hier gilt es, das Subsidiaritätsprinzip ernst zu nehmen und durch frühzeitige Planungssicherheit, Personalerhalt und damit Sicherung von Angeboten und Leistungen zu ermöglichen. Denn nur mit einer starken engagierten Zivilgesellschaft sind die aktuellen Herausforderungen wie z.B. das Erstarken des Rechtspopulismus und die Gefährdung der Demokratie zu meistern.

Das gilt es von Seiten der Politik zu bewahren und zu stärken!

Teilhabe aller Menschen ermöglichen – das ist die Vision der Paritätischen Mitgliedsorganisationen und des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin. Wirkungsvolle soziale Arbeit vor Ort basiert auf Vertrauen bei den Menschen. Dies erfordert eine Kontinuität der Angebote und Leistungen und Vertrauensaufbau durch bekannte Ansprechpersonen. Nur so können die bewilligten Förderungen mittel- und langfristig ihre Wirkung entfalten.

Wir stehen für den Austausch und die Umsetzung mit Politik und Verwaltung bereit – im Sinne des gemeinsamen Ziels #berlinbessermachen.
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Der Paritätische Wohlfahrtsverband Berlin –
wer wir sind und wozu es uns gibt

Der Paritätische Wohlfahrtsverband Berlin ist ein Dach- und Spitzenverband der freien Wohlfahrtspflege. Er vertritt die Interessen der Mitgliedsorganisationen und berät sie bei rechtlichen, betriebswirtschaftlichen und sozialen Fragen. Er setzt sich für die Rechte aller hilfebedürftiger Menschen und für die Förderung der Zivilgesellschaft ein. Unter Paritätischem Dach in Berlin sind über 800 eigenständige freie gemeinnützige Organisationen vereint. Der Paritätische Wohlfahrtsverband Berlin macht sich stark für ein lebenswertes Berlin mit guten sozialen Angeboten für alle.

Für den Paritätischen Wohlfahrtsverband Berlin:

Prof. Dr. Gabriele Schlimper
Geschäftsführerin

Martin Hoyer
stellvertretender Geschäftsführer

Berlin, am 10. Oktober 202

 

** Subsidiaritätsprinzip: Was der Einzelne, die Familie oder Gruppen und Körperschaften aus eigener Kraft tun können, darf weder von einer übergeordneten Instanz noch vom Staat an sich gezogen werden. Das schließt allerdings die staatliche Pflicht mit ein, die kleineren Einheiten falls nötig so zu stärken, dass sie entsprechend tätig werden können. Die im Subsidiaritätsprinzip zum Ausdruck kommende Anerkennung sozialer Initiativen ermöglicht dem hilfebedürftigen Bürger ein Wahlrecht. (https://www.bagfw.de/ueber-uns/freie-wohlfahrtspflege-deutschland/subsidiaritaetsprinzip)

*** Artikel 10 (3) Frauen und Männer sind gleichberechtigt. Das Land ist verpflichtet, die Gleichstellung und die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern auf allen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens herzustellen und zu sichern. Zum Ausgleich bestehender Ungleichheiten sind Maßnahmen zur Förderung zulässig.
Artikel 22
(1) Das Land ist verpflichtet, im Rahmen seiner Kräfte die soziale Sicherung zu verwirklichen. Soziale Sicherung soll eine menschenwürdige und eigenverantwortliche Lebensgestaltung ermöglichen.
(2) Die Errichtung und Unterhaltung von Einrichtungen für die Beratung, Betreuung und Pflege im Alter, bei Krankheit, Behinderung, Invalidität und Pflegebedürftigkeit sowie für andere soziale und karitative Zwecke sind staatlich zu fördern, unabhängig von ihrer Trägerschaft.
https://www.berlin.de/rbmskzl/politik/senat/verfassung/artikel.41548.php#:~:text=Artikel%2010&text=(3)%20Frauen%20und%2 0M%C3%A4nner%20sind,sind%20Ma%C3%9Fnahmen%20zur%20F%C3%B6rderung%20zul%C3%A4ssig

Quelle: Stellungnahme des Paritätischen Wohlfahrtsverbands Berlin vom 10. Oktober 2024